Suche nach:
Männer und Scham

Es gibt nur drei Optionen: Toben, Abschotten oder Zudröhnen

Die Gefühlswelt von Frauen und Männern und allen anderen Geschlechtern unterscheidet sich grundsätzlich nicht. Gefühle sind menschlich. So empfinden auch Frauen Wut und auch Männer Unsicherheit. Allerdings gestatten uns unsere Geschlechterrollen nicht gleichermaßen, alle Gefühlsfacetten auszuleben und das führt zu sehr unterschiedlichem Umgang mit Gefühlen.

Ich als Frau konnte manche Verhaltensweisen, die Männer häufig zeigen, nicht ganz verstehen, bis ich Brené Browns Buch „Verletzlichkeit macht stark“ las. Die Regel, nach der Männer leben, lautet „Sei nicht schwach“ und wenn sie es doch sind, empfinden sie Scham.

In ihrem Buch berichtet Brené Brown von einem mutigen Studienteilnehmer, der ihr die Situation so erklärte, dass diese Regel „Sei nicht schwach“ wie eine Kiste sei. Er führte ihr das Leben in der Kiste vor, indem er sich zusammenkrümmte und sagte:

„Du hast wirklich nur drei Wahlmöglichkeiten: Entweder du verbringst dein Leben damit, zu kämpfen, da rauszukommen, indem du gegen die Wände der Kiste schlägst und hoffst, dass sie kaputt geht. Du bist immer wütend und schwingst immer die Faust. Oder du gibst einfach auf. Dir ist alles scheißegal. Oder du dröhnst dich zu, damit dir nicht wirklich auffällt, wie unerträglich es ist. Das ist der einfachste Weg.“

Brené Brown „Verletzlichkeit macht stark“, Goldmann 2017, S.116

Dieser mutige junge Mann hat nicht nur Brené Brown die Augen geöffnet, sondern auch mir. Seine Worte berühren mich tief und es macht mich traurig und betroffen daran zu denken, wie die Männer in meinem Leben eingesperrt und alleine in ihren Kisten sitzen und partout nie schwach sein dürfen.

Wenn man nun denkt „Ja, das ist echt schlimm, wie die Männer untereinander sind“, muss ich leider sagen: Wir Frauen tragen unseren Teil dazu bei. In unserer eigenen Überforderung im Kampf mit unseren Schamauslösern, verlassen wir uns allzu oft darauf, dass die Männer das Ganze schon ertragen werden, uns tragen werden. Wir verheddern uns in unserem Schamnetz und ein Mann, der Schwäche zeigen will, hat da keinen Platz.

Ich glaube, dass es Anstrengungen und innere Arbeit von allen Seiten braucht, damit Frauen unvollkommen und Männer schwach sein dürfen, ohne dass sie dabei in einen Schwamsturm sondergleichen geraten.

Unperfekt sein ist nicht unweiblich. Schwach sein ist nicht unmännlich. Beides ist einfach nur zutiefst menschlich.

In meinem Video zum Thema gehe ich noch einmal mehr auf die gesellschaftlichen Rollenerwartungen ein, die die Scham bei beiden Geschlechtern in die Höhe treiben. Schau gerne vorbei:

Interessant könnte auch das Video zum Thema Akzeptanz sein, um das Wissen über den Umgang mit Emotionen zu vertiefen. Alle Videos findest du auf meinem Youtube-Kanal.

Wie Perfektionismus uns davon abhält, gesehen zu werden

Wenn ich alles richtig mache, kann mir niemand etwas

Die Angst vor Ablehnung ist tief verwurzelt in uns Menschen. Wir gehören einer sozialen Spezies an und wollen, ja müssen sogar, zu einer Gruppe dazuzugehören. Deswegen sind wir ganz fein darauf eingestellt, Signale der Ablehnung sofort zu erkennen und darauf zu reagieren. Das macht Sinn, aber in der heutigen Zeit leben wir nicht mehr in einer Gruppe von 30 Individuen, sondern in vielen und viel größeren und sehr unterschiedlichen Gruppen und jede dieser Gruppen sendet uns unterschiedliche Signale, was sie von uns erwartet. Dem können wir gar nicht gerecht werden, doch mit Perfektionismus versuchen wir es trotzdem.

Beim Perfektionismus geht es um den zum Scheitern verurteilten Versuch, alles richtig zu machen, unangreifbar, ja eben perfekt zu sein, auf allen Ebenen. Dabei gibt es individuelle Schwerpunkte und Ideen davon, wie man perfekt sein könnte, aber was alle gemeinsam haben, ist, dass es nicht darum geht, seine Sache möglichst gut zu machen und über sich hinauszuwachsen. Es geht darum, keine Fehler zu machen und keine Schwäche zu zeigen. Das ist unglaublich einengend und anstrengend. Vollzeit-Perfektionist:innen verbindet eine tief sitzende Sehnsucht, loslassen zu können und endlich einmal zu entspannen. Aber das geht nicht, denn das Furcht-System ist auf Hochtouren. Bei jedem Handschlag lauert erneut die Gefahr, Fehler zu machen und dafür hinterher angeprangert zu werden: Was gebe ich meinen Kindern zu essen? Ist mein Hund genug ausgelastet? Sieht mein Zuhause schön aus? Kümmere ich mich genug um meine Beziehung, damit ich mir hinterher nicht vorwerfen muss, etwas versäumt zu haben, wenn ich verlassen werde? Lebe ich so, dass mir niemals jemand einen Vorwurf machen kann?

Dieses Vorhaben ist unmöglich. Perfektion existiert nicht. Sie bleibt unerreicht. Und mal ganz ehrlich, wie wirkt vermeintliche Perfektion von Außen auf dich? Findest du solche Menschen anziehend und einladend? Fühlst du dich wohl neben so jemandem?

Unsere unvollkommene Menschlichkeit voller Makel und Fehler macht uns erst zu Individuen, mit denen man sich verbinden kann, in denen man sich selbst sieht und sich verbunden fühlt. Deswegen möchte ich dich ermuntern: fröne dem Perfektionismus nicht weiter, sondern lasse dich auf dich und deine Menschlichkeit ein- hab den Mut.

Wenn du noch mehr über dieses Thema hören möchtest, schau in mein dazugehöriges Youtube-Video oder folge mir auf Instagram.

Scham hält uns davon ab, uns zu zeigen

Kenne deinen Feind

Scham ist das sehr starke Gefühl, das in uns auftaucht, wenn wir glauben, dass das, was oder wie wir sind, nicht in Ordnung ist und dass es niemand jemals sehen sollte. Es ist das Gefühl, wenn wir uns wie ertappt fühlen und am liebsten im Erdboden verschwinden würden. Scham ist so machtvoll, weil es an unserem Grundbedürfnis der Zugehörigkeit rüttelt. Als soziale Wesen ist es überlebenswichtig dazuzugehören. Die Scham flötet uns aber ins Ohr „Du nicht. Du gehörst nicht dazu. Du bist defekt. Lass es besser keinen sehen.“

Um uns von Scham nicht in unserem Leben ausbremsen zu lassen und nicht Teile von uns in den Kerker zu werfen, damit sie ja niemand sieht, brauchen wir Mut und Schamresilienz. Ein wichtiger Bestandteil von Schamresilienz, das heißt ein guter und konstruktiver Umgang mit Scham, ist zu wissen, wann und wo und wie Scham bei uns zuschlägt. Scham empfindet jeder, aber bei welchen Themen sie anspringt und wie wir reagieren, ist individuell verschieden. Um nicht aus dem Blauen heraus erwischt zu werden, tut es gut, uns in dieser Sache selbst zu kennen.

Dr. Linda Hartling beschreibt drei verschiedene Reaktionsweisen auf Schamgefühle: Attacke, Rückzug und Einschmeichlung oder auf englisch move against, move away und move toward. Wenn wir dazu neigen bei Scham zu attackieren, versuchen wir, die Macht zurückzuerobern und gehen dabei auch über Leichen bzw. über verletzte Gefühle hinweg. Wir werden aggressiv und beschämen den anderen zurück. Wenn wir uns eher zurückziehen im Falle von Scham, dann verstecken wir uns und unsere Wahrheit, wir bringen uns selbst zum Schweigen und haben Geheimnisse. Im Falle der Einschmeichlung versuchen wir den anderen auf unsere Seite zu holen, indem wir uns anbiedern und versuchen zu gefallen. Das geht meistens auf Kosten unseren Selbstrespekts.

Wir reagieren nicht immer gleich, aber uns zu beobachten und zu wissen, wie wir wann reagieren, kann uns helfen, beim nächsten Mal einen anderen Weg einzuschlagen. Wenn ich zur Attacke neige, dann wäre es ein erster Schritt, vielleicht nicht anzugreifen, sondern zuzulassen, dass ich die unangenehmen Gefühle überhaupt erst einmal wahrnehme. Als Gegenmittel zum Rückzug hilft zumindest zu versuchen sich zu öffnen. Bei Einschmeichlung könnten wir üben, die Spannung auszuhalten und nicht dem anderen nach dem Mund reden. Frag dich, was die mutige Reaktion in diesem Moment wäre. Nicht die automatische. Und schon hat die Scham uns nicht mehr ganz so fest im Griff.

Unsere Reaktionen auf Schamgefühle zu kennen, ermöglicht es uns, uns zu befreien und mit offenerem Herzen im Leben zu stehen.

Möchtest du mehr zu dem Thema Scham hören? Dann schau in mein Youtube- Video, in dem ich mehr über das Gefühl Scham und Schamresilienz erzähle: